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„Ich hatte nie vor, Koch zu werden.“
Best and Beyond: ein Interview mit dem legendären El-Bulli-Koch Ferran Adrià
Im ersten Teil der von Miele präsentierten Serie „Best and Beyond“ sprechen wir mit dem legendären Koch Ferran Adrià, dessen Restaurant, El Bulli, die allererste Nummer 1 der World's 50 Best Restaurants war.
Als 18-Jähriger, der den Sommer auf Ibiza durchfeierte, und dringend etwas Geld brauchte, tat er, was alle Teenager seines Alters tun würden – er suchte sich einen Job als Tellerwäscher in einem Restaurant. Ohne diesen Sommerjob in der Küche sähe das Leben des Spitzenkochs, Ferran Adrià, wohl sehr anders aus. Sein Restaurant El Bulli wurde fünf Mal als bestes der Welt ausgezeichnet. Ein Rekord.
Doch auch die Anfänge des Restaurants selbst beruhen auf einer Reihe an glücklichen Zufällen. Die Anlage bei Cala Montjoi in Roses, im nordöstlichen Spanien, wurde ursprünglich 1961 als Minigolfplatz von einem deutschen Paar, Dr. Hans Schilling und seiner Frau Marketta, errichtet. Aus dem Golfplatz wurde eine Strandbar und ein Grillroom, lange bevor es zu einem der beliebtesten gastronomischen Reiseziele der Welt wurde. Selbst der Name war nicht von besonderer Bedeutung – „Bulli“ ist der umgangssprachliche katalanische Name für Französische Bulldoggen, die Rasse des Hundes der Schillings.
„Das Leben steckt in den Details“, sagt Adrià. „Um für meinen Urlaub zu bezahlen, suchte ich einen Job. Mein erstes Angebot war, Geschirr zu waschen. Wenn ich damals diese Stelle nicht bekommen hätte, wäre ich heute nicht hier. Das war keine Karriereplanung. Ich hatte nie vor, Koch zu werden.“
Und doch wurde er genau das – Adrià machte sich und El Bulli einen Namen durch seinen avantgardistischen, hinterfragenden Ansatz, der unzählige Köche auf der ganzen Welt inspirierte. Um es in Adriàs eigenen Worten zu beschreiben: El Bulli löste einen Paradigmenwechsel in der Gastronomie aus.
Mehrere Jahrzehnte später, nachdem sich das Restaurant einen ewigen Platz in der weltweiten Gastronomiegeschichte gesichert hat, schloss El Bulli und Adrià hängte seine Kochmütze an den Nagel. Zubereitungsmethoden, die heutzutage in Edelrestaurants auf der ganzen Welt gang und gäbe sind, wie Espumas und Sphärisierung, wurden hinter geschlossenen Türen im taller, dem Atelier von El Bulli, erfunden. Ganz Spanien entwickelte sich zu einer gastronomischen Größe, die mit Frankreich auf internationalem Niveau wetteifern konnte. Adrià und sein Bruder, Albert, wurden zu wahren Legenden der Restaurateur-Welt. Der letzte Abend von El Bulli im Juli 2011 galt schlechthin als das Ende einer Ära.
Dekonstruktion der Gastronomie
Wenn sowohl Adrià als auch El Bulli solch bescheidene Anfänge hatten, wie konnten sie dann den größten Einfluss des 21. Jahrhunderts auf die Gastronomie haben?
Die Antwort auf diese Frage kann vielleicht in der ewigen Suche des Kochs nach neuem Wissen gefunden werden und seinem immerwährenden Verlangen, die Grenzen des bisher Möglichen immer wieder neu auszuloten. Das Restaurant El Bulli war jedes Jahr nur sechs Monate lang geöffnet. Adrià und sein Team verbrachten den Rest des Jahres damit, neue Zubereitungsmethoden zu entwickeln und für jede Sommersaison ein komplett neues Menü zu kreieren. Auch wenn andere Gastronomiegrößen ihn als einen der kenntnisreichsten Leute der Branche bezeichnen würden, hat er eine andere Meinung.
„Ich habe gelernt, dass ich nichts weiß. Dass die Dinge, die ich dachte, zu kennen, nicht stimmen. Ich muss alles verlernen, um neu wieder neu zu beginnen“, sagt er.
Es war sein Wissensdurst, der ihn zu der Entstehung einiger der ikonischsten Erfindungen der Welt führten: Espumas aus Sahnegeräten, die berühmte flüssige Olive, die noch heute auf Albert Adriàs Speisekarten zu finden ist, gefrorene Pulver und warme Gelatine. Adrià wird häufig mit der Molekularküche in Verbindung gebracht, doch er bevorzugt den Begriff „Dekonstruktion“. Laut ihm geht es darum, „ein bekanntes Gericht zu nehmen, alle oder einen Teil aller dazugehörigen Zutaten zu verwandeln und dann die Textur, Form und/oder Temperatur des Ganzen zu verändern.“
Ferran Adrià wählte bekannte oder klassische Gerichte, wie spanisches Omelett oder Hähnchencurry und zerlegte sie in ihre Einzelteile. Zu seinen wichtigsten Errungenschaften zählen herzhafte Eiscremes, darunter Parmesan- oder Tomaten-Wassereis, Suppe, die mit drei verschiedenen Temperaturen serviert wird, und Artischocken-Lollis. Es ging dabei darum, das Unerwartete zu präsentieren und die Erwartungen der Gäste herauszufordern.
„Das Wichtigste, was er meiner Meinung nach erreicht hat, ist die Freiheit“, sagt Massimo Bottura, Chefkoch und Inhaber von Osteria Francescana, Nummer 1 der World's 50 Best Restaurants 2016. „Er gab uns die Freiheit, uns auf alle Arten und Weisen auszudrücken. Das ist wirklich fantastisch.“
Doch Adrià war nicht immer so kreativ. Sein Abwasch-Job brachte ihm etwas Küchenerfahrung und schließlich konnte er sich seinen Ibiza-Urlaub leisten. Mit 19 arbeitete er während seines Wehrdiensts als Koch und 1983 begann er im El Bulli, das damals bereits zwei Michelin-Sterne hatte, mit einem einmonatigen Praktikum. Im Folgejahr wurde er als Chef de Partie erneut ins Team geholt, doch er begann erst Ende 1980 damit, mit avantgardistischen Zubereitungsmethoden zu experimentieren und seine ersten innovativen Rezepte zu kreieren, wie Hummer-Gazpacho im Jahr 1989 und seinen ersten Espuma 1994.
2002 wurde El Bulli zur Nummer 1 auf der ersten World's-50-Best-Restaurants-Liste gewählt. 2003 und 2004 wurde es von Thomas Kellers French Laundry sowie 2005 von Heston Blumenthals The Fat Duck auf den zweiten Platz verwiesen. Zwischen 2006 und 2009 wurde es jedes Jahr erneut zum Spitzenreiter auserkoren, bis es 2010 von René Redzepis Noma in Kopenhagen überholt wurde.
Die Zukunft der Gastronomie
Adrià erklärt gerne, dass El Bulli kein Solo-Projekt war. Seine Partner, Albert Adrià und der verstorbene Juli Soler, waren ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs des Restaurants sowie die 2500 Mitarbeiter, die im Laufe der 25 Jahre, in denen Adrià die Einrichtung geführt hat, Teil der „El-Bulli-Familie“ waren. Mit vielen der Köche, die er über die Jahrzehnte gecoacht hat, pflegt er noch heute eine enge Beziehung, darunter Oriol Castro, Mateu Casañas und Eduard Xatruch. Dieses Trio ehemaliger Köche bei El Bulli führt heute seine eigenen erfolgreichen Restaurants: Compartir und Disfrutar - wobei letzteres 2017 den Miele One To Watch Award von The World's 50 Best Restaurants gewann.
Wenn man ihn zur Schließung von El Bulli befragt, erklärt er, dass es eigentlich nie geschlossen wurde und es nur nicht mehr als Restaurant existiert. 2014 wurde die Anlage als kulturelle Stiftung und Museum über das Restaurant und die Geschichte der Gastronomie neu eröffnet.
„Es gibt viel Unverständnis darüber, dass El Bulli nicht nur ein Restaurant war, besonders jetzt, nachdem etwas Zeit vergangen ist“, sagt Adrià. „Es war ein Lebensmotto, eine Philosophie, die viele Menschen und Projekte berührt hat.“
Die El-Bulli-Stiftung hat in den letzten vier Jahren 3 Millionen Euro investiert, um einen Wissensfundus über die Welt der Gastronomie, in der es einst agierte, zu erstellen, den es, laut Adrià, aktuell so nicht gibt. In fünf Jahren werden Adrià und sein Team 25 Bücher mit je 500 Seiten erschaffen haben sowie ein digitales Archiv, in dem Zubereitungsmethoden und Produkte beschrieben werden, die bisher in keiner Veröffentlichung einen Platz gefunden haben. Des Weiteren fördert er die Einführung der Gastronomie als Schulfach.
Das Vermächtnis von El Bulli
Warum hat er trotz all der Innovationskraft aufgehört zu kochen? Für Adrià war die Herausforderung, wieder das beste Restaurant der Welt zu werden, nicht groß genug. Seine Herausforderung wurde die Suche nach neuen Aufgaben, eine Suche nach etwas, das bei seinem Team dieselbe Begeisterung auslösen würde, wie es das Kochen bei El Bulli einst getan hat. Seine neue Herausforderung ist nun, einen Weg zu finden, jungen Köchen beizubringen, was er und seine Brigade bei El Bulli geleistet haben.
„Ich möchte, dass die neue Generation besser wird als wir - und das sind sie schon“, strahlt er. „Aber sie sollen verstehen, was sie tun. Und es nicht nur einfach so durchziehen.“
Adrià eröffnet seine Rede bei einer #50BestTalks-Veranstaltung zur Feier des 15. Jubiläums der World's 50 Best Restaurants mit den Worten, dass er es nie erwartet hat, bei einem solchen Event eingeladen zu sein, da er schließlich kein Restaurant mehr führt. Auch wenn er nicht mehr hinter dem Herd steht, ist er einer der bekanntesten Köche der Welt. Was also ist sein Vermächtnis?
Daniel Humm, Chefkoch und Besitzer der aktuellen Nummer 1 der World's 50 Best Restaurants, Eleven Madison Park, bringt es auf den Punkt: „Ferran hat etwas Unglaubliches geschafft. Wir alle denken nun anders über das Essen nach. Nicht nur die größten Chefköche, sondern alle Menschen auf allen Ebenen. Und das ist einfach mehr als nur inspirierend.“
Lesen Sie das komplette Interview auf der Website The World's 50 Best Restaurants.
Bilder: © El Bulli Foundation / Kopfzeilenbild: © Murdo MacLeod/Polaris/laif