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Heston Blumenthal – The Fat Duck
„Kreativität muss in einer Umgebung stattfinden, die kein Ergebnis braucht - die Freiheit, zu scheitern, ist unerlässlich.“
Im neuesten Teil der von Miele präsentierten Serie „Best and Beyond“ analysieren wir den Einfluss von Heston Blumenthal, der hyperkreativen Kraft hinter dem revolutionären britischen Restaurant The Fat Duck.
Bei einer Mahlzeit in The Fat Duck gibt es wirklich nichts, das gewöhnlich ist – von der Tischreservierung zu den Petit Fours, von der innovativen Präsentation der Gerichte bis zu den originellen Geschmackskombinationen. Aber genau das ist natürlich der immerwährende Reiz des Restaurants. Heston Blumenthals unendlich experimentelles Flagship-Restaurant bietet zwar den Ortsansässigen keinen Snack für zwischendurch – seine zwei anderen Pubs in der Nähe dagegen schon –, aber sein 17-Gänge-Menü für 255 £ ist eins der denkwürdigsten, technisch ausgeklügeltsten und spannendsten Gastronomieerlebnissen der Welt.
Nichts auf seiner Speisekarte ist das, wonach es aussieht. Die Zutaten eines Waldorfsalats werden zu Eiscreme, eine goldene Taschenuhr verschwindet in heißem Wasser und verwandelt sich in eine Suppe, ein praktisch schwereloses Rote-Beete- und Meerrettich-Macaron zergeht auf der Zunge.
Noch faszinierender als diese Innovationen ist die Tatsache, dass The Fat Duck im eleganten Örtchen Bray westlich von London auch 20 Jahre nach seiner Eröffnung als Restaurant so relevant und einflussreich ist wie eh und je.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat Blumenthal Hunderte an neuen Zubereitungsmethoden entwickelt und eine Vielzahl von ihnen können heutzutage auf den Speisekarten anderer ambitionierter Restaurants gefunden werden. Er war der Erste, der das kulinarische Potenzial von Flüssigstickstoff erkannte. Einer der Ersten, der vakuumgegarte Speisen zubereitete. Ein Vorreiter bei der Nutzung verschiedener Geliermittel, um einen bis dahin unerreicht klaren Geschmack zu kreieren. Der Erfinder dreifach gekochter Pommes.
In den falschen Händen hätte all das zu nichts führen können: nur durch innovative Zubereitungsmethoden wird man kein großer Koch. Doch Blumenthal weiß sein kulinarisches Know-how mit kindlichem Verzücken und Begeisterung zu verbinden, und hat so einige der legendärsten Gerichte der Welt erschaffen: Schnecken-Porridge, Ei- und Speck-Eiscreme, die von Alice im Wunderland inspirierte Falsche Schildkrötensuppe und sein berühmtes Fleischobst, um nur einige zu nennen.
Wichtiger als die einzelnen Innovationen und fantastischen Gerichte des 51-Jährigen jedoch sind das stetige Hinterfragen der bestehenden kulinarischen Verfahren und sein Wunsch nach kontinuierlicher Verbesserung oder, um es in seinen Worten zu sagen „rastloser Entwicklung.“
Blumenthal war einer der ersten Köche der Welt, die die Bedeutung eines getrennten Küchen- und Entwicklungsteams verstanden; ein Ansatz, der den Betrieb vieler anderer Schwergewichte in der Branche maßgeblich verändert hat.
„Eine professionelle Küche ist keine kreative Küche“, erklärt er. „Sie ist ein Fließband. In The Fat Duck wird bedächtig und präzise gearbeitet, weil wir absolute Einheitlichkeit erzielen möchten. All diese Aspekte ersticken jegliche Kreativität im Keim. Entdeckung und Kreativität müssen in einer Umgebung stattfinden, die kein Ergebnis braucht – die Freiheit, zu scheitern, ist unerlässlich.“
Alles außer gewöhnlich
Blumenthals unüblicher Arbeitsansatz ist teilweise auf seinen unkonventionellen Einstig in die Branche zurückzuführen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen machte er keine umfassende Ausbildung und hat nur wenig Erfahrung in Weltklasse-Küchen gesammelt.
Das Interesse an der Gastronomie des gebürtigen Londoners wurde bei einem Besuch in einem Michelin-Restaurant in Südfrankreich während eines Familienurlaubs geweckt. In dem Jahrzehnt nach seinem Schulabschluss arbeitete er in einer Reihe wenig anspruchsvoller Berufe und brachte sich abends die Feinheiten der klassischen französischen Küche im Alleingang bei. Als er zufällig an ein damals noch unbekanntes Buch des amerikanischen Wissenschaftlers Harold McGee kam, begann er, bewährte Zubereitungsmethoden und -verfahren, wie beispielsweise das Anbraten von Fleisch, um die Poren zu schließen und den Saft zu „bewahren“, zu hinterfragen.
1995 eröffnete er schließlich The Fat Duck als kleines, zurückhaltendes Bistro, das sich jedoch schon bald einen Namen machte. 1999 gewann das Restaurant seinen ersten Michelin-Star, zwei Jahre später folgte bereits der zweite. Im Jahr 2004 erhielt es den geheiligten dritten Stern und im Folgejahr führte es die Spitze der Liste der World's 50 Best Restaurants an – das erste und bisher einzige britische Restaurant mit dieser Auszeichnung.
Ende der 2000er wandte der Koch sich einer Reihe beliebter Fernsehserien zu. Eine von ihnen handelte vom historischen britischen Menü, das die Inspiration für die Speisekarte seines Restaurants Dinner by Heston Blumenthal war. Es öffnete 2011 im Mandarin Oriental Hyde Park in London seine Pforten mit Blumenthals langjährigen Gefährten, Ashley Palmer-Watts, als Chefkoch, und wurde über Nacht zum Erfolg.
Blumenthals Œuvre ist gewaltig, doch er möchte für eine ganz bestimmte, einfache, und doch wichtige Idee in Erinnerung bleiben: „multi-sensorische Gastronomie“. „Unsere Sinne sind die wahren Zutaten - was wir hören, riechen, sehen und fühlen. All das spielt eine wichtige Rolle beim Genuss des Essens. Ich möchte steuern, was meine Gäste fühlen. Ich weiß, es klingt kitschig, aber es ist wahr: Restaurants handeln mit Emotionen. Ich möchte diese Welt glücklicher hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe.“
Es steht außer Frage, dass Blumenthals Fähigkeit, die kulinarischen Grenzen zu erweitern, ihn zu einem der wichtigsten Köche seiner Generation gemacht hat. Ein Aspekt, der ihn von den meisten anderen Spitzenköchen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er es schafft, seine Arbeit für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einige der originellsten Gastronomie-Fernsehprogramme zählen zu seinen Produktionen, darunter auch die brillante BBC-Serie In Search of Perfection, in der Blumenthal „perfekte“ Versionen alltäglicher Gerichte kreierte.
Seit 2010 entwickelt er mit seinem Team neue Gerichte für die gehobene britische Supermarktkette Waitrose und bringt so eine Reihe wirklich außergewöhnlicher Geschmackskombinationen auf den Massenmarkt, wie beispielsweise kürzlich seine viel diskutierte Bananen-Bacon-Trifle.
„Ich weiß, es klingt kitschig, aber es ist wahr: Restaurants handeln mit Emotionen. Ich möchte diese Welt glücklicher hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe.“
Duck, danach
Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Australien eröffnete The Fat Duck vor zwei Jahren erneut ihre Pforten. Der Gastronom investierte rund 2,5 Mio. £ in das Flagship-Restaurant, in dem ein Team aus mehr als 60 Mitarbeitern 40 Kunden bewirtet. Die ursprüngliche Atmosphäre und das Design des niedrigen Esssaals wurden erhalten, während der Rest des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes renoviert wurde. Doch wichtiger als der Esssaal ist die Entwicklung und Vergrößerung der Küche, dem Reich des alteingesessenen Chefkochs, Johnny Lake, die nun endlich dem großen Restaurant würdig ist.
Einige der frühesten Innovationen von Blumenthal wurden entwickelt, um den Ansprüchen der kleinen Küche gerecht zu werden. So experimentierte er beispielsweise anfänglich mit Flüssigstickstoff, da die Gaszufuhr des Restaurants nicht im professionellen Umfang nutzbar war und er seine grünen Bohnen nicht auf die übliche Weise zubereiten konnte.
„The Fat Duck hat mich mehr als alles oder jeder andere auf der Welt beeinflusst. Sie beherbergt unendlich viele Erinnerungen. Sie besteht mittlerweile praktisch nur noch aus Erinnerungen und Emotionen“, erklärt er.
In den zwei Jahrzehnten seit der Öffnung der Fat Duck ist Blumenthal noch tiefer in Erinnerungen und ganz besonders Nostalgie eingetaucht. „Eine schöne Erinnerung wärmt einen von innen, das ist belegt. Unser Gedächtnis wird oft als verstaubte alte Schatztruhe angesehen, die wir verstecken sollen. Aber das stimmt nicht. Wir sollten ständig auf unsere Erinnerungen zurückblicken. Wir sollten sowohl Vergangenheit als auch Zukunft unseres Lebens begutachten.“
Nachdem Blumenthal letztes Jahr mit einer Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert wurde, sprach er kürzlich über das veraltete „viktorianische“ Schulsystem im Vereinigten Königreich, das seiner Meinung nach, Kinder mit ADHS stigmatisiert. Er ist fest davon überzeugt, dass Kinder nur dann kreativ sein können, wenn sie keine Angst haben, zu scheitern. Blumenthal sagt, dass seine Hyperaktivität es ihm ermöglicht, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten, und obwohl diese Störung auch ihre eigenen Probleme mit sich bringt, ist sie zumindest teilweise verantwortlich für die rastlose und wirklich außergewöhnliche Kreativkraft dieses Super-Kochs.
Lesen Sie das komplette Interview auf der Website The World's 50 Best Restaurants.
Bilder: ©Alisa Connan