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„Es gibt nur wenige Restaurants, in denen man Emotionen schmecken kann.“
Best and Beyond: Massimo Bottura – Osteria Francescana
Diesmal folgen wir dem weltbekannten Chefkoch Massimo Bottura, dessen berühmtes Restaurant Osteria Francescana in Modena, Italien, es im vorigen Jahr an die Spitze der World's 50 Best Restaurants geschafft hat.
Fünf der bekanntesten Köche der Welt hüpfen glücklich wie kleine Kinder auf einem riesigen Bett herum und bewerfen sich gegenseitig mit Kissen, um den anderen umzuwerfen. Es ist kaum zu glauben, dass dieselben fünf revolutionären Chefköche noch vor wenigen Minuten steif in dem Hotelzimmer standen, und nicht genau wussten, wie sie auf die ungewöhnliche Aufforderung des französischen Fotografen reagieren sollten. Doch wenn jemand eine Gruppe erwachsener Männer zu einer Kissenschlacht überreden kann, dann ist es Massimo Bottura.
Der italienische Koch, der in der Gastronomiebranche für seine endlose Energie und unbegrenzte Fantasie bekannt ist, ist eindeutig der hyperaktivste der fünf Superköche, die nach Barcelona gereist sind, um das von Miele präsentierte 15. Jubiläum der World's 50 Best Restaurants gebührend zu feiern. Die Gruppe besteht aus René Redzepi, Daniel Humm und Joan Roca, doch Bottura ist der einzige, der Ferran Adrià – den legendären Chefkoch Mitte 50, der sich eher in Büchern in seinem Labor vergräbt als in der Küche – überzeugen kann, seine Schuhe auszuziehen und bei der wilden Hüpferei mitzumachen.
Bottura ist zwar feinfühlig, zählt aber als echtes Schwergewicht in der Gastronomie. Er ist bereits seit 30 Jahren im Geschäft und sein Restaurant, Osteria Francescana in Italien, wurde letztes Jahr zur Nummer 1 auf der Liste der World's Best Restaurants gewählt – eine Auszeichnung, die ihn sowohl stolz als auch dankbar macht. „Jeden Morgen schaue ich in den Spiegel und sage mir selbst, dass ich unglaubliches Glück habe. Ich lebe so ein tolles Leben. Ich muss so weitermachen und mich jeden Tag dafür bedanken.“ erklärt er.
Die Revolution der italienischen Küche
Osteria Francescana in der kleinen, historischen Stadt Modena in der norditalienischen Region Emilia-Romagna hat sich in den letzten acht Jahren alljährlich einen Platz auf der Liste der World's 50 Best Restaurants ergattert. Als Koch und Inhaber des Restaurants wird Bottura von dem tiefgreifenden Wunsch angetrieben, zu innovieren und die Grenzen in so vielen Bereichen der Gastronomie zu erweitern wie nur möglich. „Ich bin ein Mensch des Moments“, sagt er. „Ich sage immer, dass es in meiner Zukunft immer noch Zukunft gibt. Ich entwickle mich immer weiter.“ Und mit ihm hat sich auch die italienische Küche weiterentwickelt.
Die Geschichte Emilia-Romagnas steht in enger Verbindung mit den berühmten Produkten der Region: darunter Parmigiano-Reggiano-Käse, Parmaschinken und traditioneller Aceto balsamico aus Modena. Diese klassischen italienischen Produkte haben eins gemeinsam: ihre Geheimrezepte werden seit Jahrzehnten geschützt und sind beinahe heilig.
Doch Bottura wollte sich nicht damit zufriedengeben, wie die italienische Küche mit ihren Standardrezepten umging - sie zu verhimmeln und nie etwas daran zu ändern. „Ich hatte schon immer einen kritischen Blick auf die Vergangenheit ohne Nostalgie, um nur das Beste aus der Vergangenheit in die Zukunft zu holen“, sagt er über sein Motto.
Botturas Arbeit, die Grenzen der italienischen Küche zu erweitern, hat Köche und Gerichte auf der ganzen Welt beeinflusst. Als junger Koch arbeitete er als Praktikant im Le Louis XV von Alain Ducasse in Monte Carlo und verbrachte neun Monate in New York. Zwei Erfahrungen, die ihn motivierten, seinem eigenen Weg zu folgen. „Alain gab mir die Kraft, an mich selbst zu glauben, weil er an mich glaubte“, erinnert sich Bottura. „Wenn ich jetzt ein Nachwuchstalent mit der richtigen Einstellung finde, dann motiviere ich die Person dazu, auf eigenen Beinen zu stehen und ihren eigenen unverkennbaren Stil zu finden.“ Osteria Francescana wurde 1995 in einer kleinen, ruhigen Straße in Modena eröffnet.
Kunst, Kultur und Emotionen auf der Speisekarte
Wer in der Osteria Francescana isst, erhält mehr als nur einen kleinen Einblick in Botturas Seele. Auf dem Weg zum Esssaal durchqueren die Gäste einen mit markanten Kunstwerken geschmückten Raum, wie beispielsweise eine Zitronen-Glühbirne und eine große Scheibe, die scheinbar von der Wand bröckelt.
Botturas Frau und Geschäftspartnerin, die dynamische Amerikanerin, Lara Gilmore, ist nicht nur die stille Kraft in seinem kreativen Sturm, sie ist auch ein wichtiger künstlerischer Einfluss für den Koch, und so beherbergt Osteria Francescana eine Fülle zeitgenössischer Kunstwerke, während Botturas liebste Schallplatten das Gourmet-Erlebnis untermalen. Die Kunst als Inspiration ist auch in seinen Rezepten erkennbar.
Die Gerichte sind unangepasst, doch anziehend, sie sollen Emotionen und Gefühle auslösen und gehen weit über die Grenzen Italiens und anderen kulinarischen Hochburgen hinaus. Vielleicht ist es genau das, was ein Restaurant – und den Koch – ausmacht: Emotionen. Jedes Gericht hat seine eigene Geschichte, die man beim Essen nach und nach ergründet, oder vielleicht löst es ein bestimmtes Gefühl, einen Moment oder eine Erinnerung aus. „Es gibt unzählige Restaurants, in denen man fantastische Gerichte essen kann, aber nur wenige Restaurants, in denen man Emotionen essen kann“, fasst Bottura zusammen.
2000 wurde Bottura in die Küche von El Bulli in Roses, Spanien, eingeladen, um mit Ferran Adrià zusammenzuarbeiten. „Alle sahen Ferran als einen technischen Meister an. Für mich war das Wichtigste an seiner Arbeit die Freiheit. Er gab uns die Freiheit, uns so auszudrücken, wie wir wollten.“
Der italienische Klassiker Lasagne verwandelt sich also bei Bottura in den futuristischen Crunchy Part of the Lasagne mit dreieckigen Lasagneblättern (inspiriert von den Luftdüsen eines Ferraris) und traditionellen Bechamel- und Ragù-Schichten. Die Gäste sollen die knusprigen, hausgemachten Lasagneblätter mit den Händen zerbrechen und mit ihnen die saftigen Saucen auflöffeln, so wie der kleine Massimo es früher tat, wenn seine Mutter nicht hinschaute.
Botturas Rezepte beruhen eindeutig auf Traditionen, doch sie katapultieren sie mit ihrem innovativen Geschmack, provokanter Präsentation und emotionaler und kultureller Bedeutung in die Zukunft. „Die wichtigste Zutat für einen Koch der Zukunft ist die Kultur. Denn nur damit kann man sich richtig ausdrücken.“
Der Traum vom Ende der Lebensmittelabfälle
Viele Jahre lang kämpfte Bottura einen stillen Kampf gegen die italienischen Medien, die noch nicht bereit waren, seinen radikalen Ansatz zu schätzen. Doch der vor Kreativität sprühende Koch ließ sich nicht aufhalten und erschuf neue innovative und heute höchst gefeierte Kreationen, darunter die Five Ages of Parmigiano Reggiano und Bollito not Boiled, eine Variante eines traditionellen, pochierten Fleischgerichts, in dem die verschiedenen Fleischstücke im Vakuum gegart werden und in Form der New Yorker Skyline präsentiert werden.
Als der Ruhm endlich in die Osteria Francescana kam, wurde Bottura zum Aktivisten. Er engagiert sich in der nationalen Ernährungspolitik und arbeitet seit 2016 mit seiner gemeinnützigen Organisation Food for Soul an verschiedenen Projekten, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Dazu zählen eine Reihe an refettorios (Suppenküchen), um Obdachlose und Menschen in Not zu ernähren. Er ist – typisch italienisch – bei allem, was er tut, animiert und leidenschaftlich, doch wenn er über seine Gemeindeprojekte redet, merkt man ihm ein ganz besonders tiefgreifendes Engagement an. Es ist klar, dass dies seine nächste Herausforderung ist, auf seiner ewigen Suche nach Fortschritt und Verbesserung. „Ich glaube, dass wir auf dieser Ebene eine große Verantwortung haben, um jüngeren Generationen die richtigen Impulse für die Zukunft zu geben“, sagt er.
Lesen Sie das komplette Interview auf der Website The World's 50 Best Restaurants.
Bilder: © Osteria Francescana / Kopfzeilenbild: © Paolo Terzi